Sehnsucht nach Einklang

Konstantia Gourzi spannt Brücken zwischen Kulturen und Epochen, Brücken über Raum und Zeit. Sei es als Komponistin, wo sie ihre eigene Stimme im Miteinander des scheinbar Unvereinbaren findet, sei es als Dirigentin und Professorin, wo sie im Zusammenklang mit anderen an einer neuen Welt der Gleichberechtigung von Weiblichem und Männlichem, Fremdem und Vertrautem baut.

Die in Deutschland lebende, 1962 in Athen geborene Griechin ist sich bewusst, dass es heutzutage eine ganz besondere Herausforderung darstellt, zu künstlerischer Authentizität zu finden. Umso mehr, als Komponisten dank der technischen Entwicklung mittlerweile Zugang zum nahezu gesamten musikalischen Schaffen der Weltgeschichte haben. Je mehr verschiedenartige Anregungen auf den Menschen einwirken und verarbeitet werden müssen, desto komplexer erscheint die Aufgabe, eine unverkennbare künstlerische Stimme zu finden, desto vielfältiger sind andererseits aber auch die Möglichkeiten der Inspiration. Natürlich spielt bei Konstantia Gourzi ihre spezifische kulturelle Prägung eine tragende Rolle. Zum Einen ist da die Verwurzelung im griechischen Kulturkreis, der untrennbar mit frühchristlich byzantinischen Traditionen und der Ausstrahlung der orientalischen Musikkulturen nach Südosteuropa verbunden ist; dem steht die westliche Welt mit ihren polyphonen Errungenschaften und der auf der modernen Instrumentenentwicklung basierenden internationalen Avantgarde mit ihren Klang-, Geräusch und Strukturforschungen gegenüber. In diesem Spannungsfeld empfängt Konstantia Gourzi ihre Schaffensimpulse.

Erfahrungen auf ihrem Weg

Es war eine schicksalhafte Fügung, dass sie in Athen Kompositionsschülerin von Michael Travlos wurde, einem ehemaligen Studenten von Isang Yun, mit dem Konstantia Gourzi Jahre später in enger Verbindung stehen sollte. Hatte doch Yun zeitlebens versucht, eine Fusion der uralten Traditionen seiner koreanischen Heimat mit den zeitgenössischen Impulsen zu verwirklichen: Archaische Wurzeln geraten in Interaktion mit der revolutionären Suche nach und Exploration von neuen Stilmitteln – das könnte auch als ein Motto über Konstantia Gourzis Schaffen stehen und bildet eine treibende Kraft ihrer Identitätssuche. 1987 kam sie zum Komposition-Studium nach Berlin und erkannte sehr bald vor allem die Notwendigkeit, sich künstlerisch zu definieren und einen eigenen kompositorischen Weg zu suchen. Sie fühlte sich auf sich selbst zurückgeworfen. Doch das reiche Musikleben Deutschlands hatte viel mehr zu bieten. Ein Kurs bei Diether de la Motte in Darmstadt schenkte ihr Freiraum und neue Hoffnung, und das Eintauchen in György Kurtágs lebenssprühenden Miniaturkosmos eröffnete ihr ungeahnte neue Perspektiven. Gleichzeitig studierte sie in Berlin Dirigieren. Auch darin war das Hochschulstudium für sie eher eine Ernüchterung, doch besuchte sie vier Jahre lang voller Begeisterung und Neugier fast alle Proben der Berliner Philharmoniker und sammelte ihre entscheidenden Erfahrungen im konkreten Moment der Entstehung von Musik auf höchstem Niveau, zumal Claudio Abbado, bei dem sie assistierte, ihr zeigte, „wie Musik atmen kann“. Auch von Günter Wand, Carlos Kleiber, Carlo Maria Giulini, Michael Gielen, Bernard Haitink, Nikolaus Harnoncourt und Giuseppe Sinopoli empfing sie entscheidende musikalische Impulse. Was sich ihr dadurch besonders einprägte, war die Erkenntnis, dass die künstlerische Gestaltung an musikalischer Qualität gewann, je respektvoller und freundlicher sich der Umgang mit dem Orchester gestaltete.

Dirigentin und Professorin

Konstantia Gourzi verkörpert die seltene, doch ungemein fruchtbare Vereinigung von Komponistin, Dirigentin und Professorin. Es kommen ihr dabei vor allem ihre Fähigkeiten zugute, umsichtig und vorausschauend zu organisieren, zielstrebig zu arbeiten und empathisch zu kommunizieren. Sie versteht es, kontinuierlich viele Stränge parallel zu verfolgen, intelligente und kreative Konzepte Schritt für Schritt umzusetzen und auszubauen, ihren Ensembles eine klare Identität zu verleihen und sich mit der hohen Qualität ihrer Arbeit allseits Respekt und Zuspruch zu sichern. Schon 1991 gründete sie das Ensemble ‚attacca berlin’ und die internationale Konzertreihe ‚Zeitzonen’ und leitete von 1999 bis 2007 das Ensemble ‚Echo’ in Berlin. 2002 wurde Konstantia Gourzi als Professorin an die Hochschule für Musik und Theater in München berufen. Mit ihrer beeindruckenden Vielseitigkeit und Verve avancierte sie bald zu einer zentralen Säule des Neue-Musik-Lebens der bayerischen Landeshauptstadt. Ihre erste bedeutende Entscheidung in München war die Gründung des sich aus Studenten zusammensetzenden ‚ensemble oktopus für musik der moderne’, das sie seither leitet. Mittlerweile ist dieses Ensemble in seiner stilistischen Flexibilität und dem hohen interpretatorischen Anspruch aus dem Kulturleben Münchens nicht mehr wegzudenken. Den Dirigierstudenten bringt sie das Gespür für die zeitgenössische Musik in all ihren Facetten nahe. Sie unterstützt alle jungen Musiker, die echtes Interesse beweisen, eine authentische Beziehung zum Neuen, Unvorhersehbaren aufzubauen und steht ihnen als verlässliche und inspirierende Mentorin zur Verfügung. 2007 gründete sie das‚ Netzwerk und Ensemble ‚opus21musikplus‘, in welchem die zeitgenössische Musik mit anderen Kunstformen und Musikrichtungen in Austausch tritt. Als Dirigentin, die keine Herausforderung scheut und mit langjähriger Erfahrung präzise und brillant herausragende Aufführungen leitet, hat Konstantia Gourzi sich ebenso wie als Komponistin längst international durchgesetzt.

Komponistin

In ihren Kompositionen lotet Konstantia Gourzi vor allem die intuitiven, irrationalen Regionen des menschlichen Geistes mittels musikalischer und klanglicher Phänomene in ihrer unerschöpflichen Bandbreite aus. Ihre Musik ist niemals rein intellektuell-konzeptualistisch, es geht ihr stets um ein inniges musikalisches Erlebnis. Das bedeutet, dass Gespür und Gefühl immer eine tragende Rolle im kreativen Prozess spielen. Sie sucht in ihrer Musik die Grenzen des Rationalen, Definierbaren zu überschreiten, die Musik aus den ihr innewohnenden Kräften wie von selbst Gestalt annehmen zu lassen, wobei die Unterscheidung zwischen festgeschriebenen Konturen und improvisatorischer Freiheit öfter aufgehoben wird. So kann der Eindruck entstehen, als sei das Neue, das erstmals entsteht, immer schon da gewesen, als würden Aktualität und Zeitlosigkeit zu einer unauflösbaren Einheit verschmelzen. Das beschwört immer wieder traumhafte Zauberwelten herauf, die wie magische Rituale aus einer ‚anderen Welt’ anmuten. Diese andere Welt erscheint wie eine Strömung in der uns bekannten Welt, die uns die Realität in einem anderen Licht erscheinen lässt und auf subtile Weise aus der konditionierten Wahrnehmung zu befreien hilft. Ihre Motivation als Komponistin bezieht Konstantia Gourzi, wie sie sagt, „aus einer Kraft, die stärker als mein Bewusstsein ist und mich immer wieder erneut drängt, die griechischen Wurzeln mit den westlichen Errungenschaften zu vereinigen und zum Ausdruck zu bringen. Es ist wie ein Geheimnis, etwas Verborgenes, das zur Aussprache kommen will. Das ‚zwingt’ mich zugleich, eine Verbindungslinie zwischen Gestern und Heute zu suchen. Unsere Wurzeln, auch unsere musikalischen, sind Teil unseres Ichs. Und indem wir uns über das Eigene bewusst werden, können wir das Andere und den Anderen annehmen, … ohne von ihm zu fordern, sich zu ändern, um zu etwas Gemeinsamem zu kommen. Meinen Beitrag dazu leiste ich, indem ich Klänge und Haltungen verschiedener Religionen und Kulturen zusammenbringe und sehnsüchtig eine Klang-Koexistenz Gestalt annehmen lasse.“ Zugleich sieht sie es als Aufgabe der Komponisten von heute, „Authentizität und Freiheit zu gewinnen und auszustrahlen, die innere Stimme zu entdecken, sich entfalten zu lassen, und ihr zu folgen, und musikalische Verbindungen zu schaffen, die vorher nicht verwirklicht wurden“. Musik soll dem Menschen „Reichtum von Gefühlen, Hoffnung, Erweiterung des Denkens, Erwachen des Bewusstseins, Fantasie, Erleichterung, Leben und Liebe“ vermitteln können. Wie das konkret aussieht, ist jedes Mal unvorhersehbar, denn „immer, wenn ich mit einem neuen Stück anfange, hinterfrage ich alles und lasse alle Erfahrungen beiseite. Während dieses Prozesses entsteht die Dramaturgie jeder neuen Komposition, in dem ich versuche, mich an den Ursprung zu erinnern und ihr damit Form zu geben. Es wird mir immer wichtiger mit Tönen Emotionen zu wecken und die uns innewohnenden positiven Kräfte zu aktivieren. Es ist ein beglückendes Erlebnis, diesen Prozess erleben zu dürfen.“

Christoph Schlüren, März 2019