Emphatische Koexistenz des Klangs

Konstantia Gourzi - Komponistin・Dirigentin

Ein biographisches Essay

„Musik soll den Menschen einen Reichtum von Gefühlen, Hoffnung, Erweiterung des Bewusstseins, Fantasie, Leben und Liebe vermitteln. Es ist mir wichtig, mit Tönen die uns innewohnenden positiven Kräfte dafür zu aktivieren. Diesen Prozess zu begleiten, ist für mich ein beglückendes Erlebnis.“

Für die in Athen geborene, und in Deutschland lebende Komponistin und Dirigentin Konstantia Gourzi, gehörten schon zu Studienzeiten im Berlin der 1980er Jahre zu den wichtigsten Kriterien für ihren eigenen künstlerischen Weg: Offenheit für die Suche nach der höchsten Qualität des Klangs unabhängig von dessen Herkunft, innere Integrität sowie künstlerische Authentizität, frei von Dogmen und Vorgaben. Die kulturgeschichtliche Vielfalt, die sich in der Musik wie im Leben als Ganzes vereint, wirkte schon immer als Inspiration für sie. Der Ausgangspunkt für ihr künstlerisches Schaffen sind Respekt und Neugier für andere Musikkulturen. Die Musik schaut für Konstantia Gourzi nicht nach der Herkunft; sie bewertet nicht und hat die Kraft, die Menschen zu vereinen. Für ihre Werke lässt sich Konstantia Gourzi daher ebenso von unterschiedlichen Stilrichtungen und traditionellen Instrumenten wie von der auf der modernen Instrumentenentwicklung basierenden internationalen Avantgarde mit ihren Klang-, Geräusch und Strukturdramaturgien inspirieren.

Die umtriebige Komponistin empfängt ihre Schaffensimpulse zudem oft durch gesellschaftliche und spirituelle Themen, die griechische Mythologie und die Natur mit ihren Klängen und Vibrationen. Ihre Werke sind von einer bestimmten dramaturgischen Struktur durchdrungen mit dem Wunsch, neue Räume und Energien durch Klänge zu eröffnen. Ihre Kompositionen sind wie „Erzählungen der aufrichtigen Kommunikationen“, wie sie selbst sagt, und somit ein Angebot an die Zuhörer wie die Gesellschaft, die eigene Wahrnehmung empathisch zu erweitern. Mit ihrer unverwechselbaren zeitgenössischen Stimme eröffnet Konstantia Gourzi dem Publikum im rational geprägten Alltag Räume fürs Spüren und zur Reflexion.

 

 

Erfahrungen auf ihrem Weg

Es war eine schicksalhafte Fügung, dass Konstantia Gourzi in Athen Kompositionsschülerin von Michael Travlos wurde, einem ehemaligen Studenten von Isang Yun, mit dem sie Jahre später in enger Verbindung stehen sollte. Hatte doch Yun zeitlebens versucht, eine Fusion der uralten Traditionen seiner koreanischen Heimat mit den zeitgenössischen Impulsen zu verwirklichen: Traditionelle Wurzeln geraten in Interaktion mit der revolutionären Suche nach und Exploration von neuen Stilmitteln – das könnte auch als ein Motto über Konstantia Gourzis Schaffen stehen und bildet eine treibende Kraft ihrer Identitätssuche.

1987 kam sie zum Kompositionsstudium nach Berlin und erkannte sehr bald vor allem die Notwendigkeit, sich künstlerisch zu definieren und einen eigenen kompositorischen Weg zu suchen. Sie fühlte sich auf sich selbst zurückgeworfen. Doch das Musikleben Deutschlands hatte viel mehr zu bieten: Ein Kurs bei Diether de la Motte in Darmstadt schenkte ihr Freiraum und neue Hoffnung, und das Eintauchen in György Kurtágs lebenssprühenden Miniaturkosmos eröffnete ihr ungeahnte neue Perspektiven. Gleichzeitig studierte sie in Berlin Dirigieren. Auch darin war das Hochschulstudium für sie eher eine Ernüchterung, doch besuchte sie vier Jahre lang voller Begeisterung und Neugier fast alle Proben der Berliner Philharmoniker und sammelte ihre entscheidenden Erfahrungen im konkreten Moment der Entstehung von Musik auf höchstem Niveau, zumal Claudio Abbado, bei dem sie assistierte, ihr zeigte, „wie Musik atmen kann“. Auch von Carlos Kleiber, Günter Wand, Giuseppe Sinopoli, Sylvia Caduff, Carlo Maria Giulini, Michael Gielen, Bernard Haitink und Nikolaus Harnoncourt empfing sie entscheidende musikalische Impulse.

 

Ensemblegründerin und Professorin

Konstantia Gourzi verkörpert die seltene, doch ungemein fruchtbare Vereinigung von Komponistin, Dirigentin und Professorin. Sie versteht es, kontinuierlich viele Stränge parallel zu verfolgen, intelligente und kreative Konzepte Schritt für Schritt umzusetzen und auszubauen, ihren Ensembles eine klare Identität zu verleihen und sich mit der hohen Qualität ihrer Arbeit allseits Respekt und Zuspruch zu sichern. Es kommen ihr dabei auch ihre Fähigkeiten zugute, umsichtig und vorausschauend zu organisieren, zielstrebig zu arbeiten und empathisch zu kommunizieren. Sie fungiert als Vorbild für die junge Generation, war sie doch in den 90ger Jahren in Griechenland die erste Frau an der Staatsoper Athen, die Traviata dirigierte.

Die Sehnsucht danach, mit Gleichgesinnten mehr experimentieren zu können, um neue Klangerfahrungen zu machen, ließ sie schnell das Bedürfnis entwickeln, selbst verschiedene Musikformationen ins Leben zu rufen und zu leiten. 1991 gründete sie das Ensemble ‚attacca berlin’ und die internationale Konzertreihe ‚Zeitzonen’. Von 1999 bis 2007 baute sie das Ensemble ‚Echo’ der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin auf und leitete es. 2002 wurde Konstantia Gourzi als Professorin für Ensembleleitung Neue Musik an die Hochschule für Musik und Theater in München berufen. Mit ihrer beeindruckenden Vielseitigkeit und Verve avancierte sie bald zu einer zentralen Säule des Neue-Musik-Lebens der bayerischen Landeshauptstadt und darüber hinaus. Ihre erste bedeutende Entscheidung in München war die Gründung des sich aus Studenten zusammensetzenden ‚ensemble oktopus‘, das sie seither leitet. Mittlerweile ist dieses Ensemble in seiner stilistischen Flexibilität und dem hohen interpretatorischen Anspruch aus dem Kulturleben Münchens nicht mehr wegzudenken.

Ihren Studenten bringt sie das Gespür für die zeitgenössische Musik in all ihren Facetten nahe. Sie unterstützt alle jungen Musiker, die echtes Interesse beweisen, eine authentische Beziehung zum Neuen, Unvorhersehbaren aufzubauen, und steht ihnen als verlässliche und inspirierende Mentorin zur Verfügung. 2007 gründete sie das Netzwerk und Ensemble ‚opus21musikplus‘, in welchem die zeitgenössische Musik mit anderen Kunstformen und Musikrichtungen in Austausch tritt. Als Dirigentin, die keine Herausforderung scheut und mit langjähriger Erfahrung präzise und brillant herausragende Aufführungen leitet, wird Konstantia Gourzi ebenso wie als Komponistin international gefeiert. Radio-Aufnahmen, Fernsehsendungen und Live-Streams dokumentieren ihren künstlerischen Weg wie auch die Zusammenarbeit mit Labels wie ECM, GENUIN, NEOS und Sony Classical.

 

Komponistin

In ihren Kompositionen lotet Konstantia Gourzi unter anderem die intuitiven Regionen des menschlichen Geistes mittels musikalischer und psychologischer Phänomene in ihrer unerschöpflichen Bandbreite aus. Es geht ihr ebenso um eine klare inhaltliche Aussage durch Musik wie ein inniges musikalisches Erlebnis. Das bedeutet, dass neben einer ausgeklügelten Dramaturgie, Gespür und Gefühl immer eine tragende Rolle im kreativen Prozess spielen. Es geht ihr darum, in ihrer Musik die Grenzen des Rationalen, Definierbaren zu überschreiten sowie Aktualität und Zeitlosigkeit zu einer unauflösbaren Einheit zu verschmelzen.

In den vergangenen Jahren konzentriert sie sich immer mehr darauf, neue Programmkonzepte als Komponistin und Dirigentin zu kuratieren: Als „Composer in Residence“, u.a. beim Grafenegg Festival 2020 in Österreich, dem Molyvos International Music Festival in Griechenland 2021, dem Kreisau Festival 2022 in Polen sowie als „Composer and Conductor in Residence“ 2023 bei den Duisburger Philharmonikern für das Eigenzeit Festival mit einem transkulturellen „Call for Compositions“ beschwört Konstantia Gourzi immer wieder traumhafte Zauberwelten herauf, die wie magische Rituale aus einer ‚anderen Welt’ anmuten. Diese andere Welt erscheint wie eine Strömung in der uns bekannten Welt, die uns die Realität in einem anderen Licht erscheinen lässt und auf subtile Weise aus der konditionierten Wahrnehmung zu befreien hilft.

Ihre Motivation als Komponistin bezieht Konstantia Gourzi, wie sie sagt, „aus einer Kraft, die stärker ist als mein Bewusstsein, und mich immer wieder erneut drängt, Welten zu vereinen und musikalisch zum Ausdruck zu bringen. Es fühlt sich wie ein Geheimnis an, wie etwas Verborgenes, das zur Aussprache kommen will. Das zwingt mich zugleich, eine Verbindungslinie zwischen Gestern und Heute zu suchen. Unsere Wurzeln, auch unsere musikalischen, sind Teil unseres Ichs. Und indem wir uns über das Eigene bewusst werden, können wir das Andere und den Anderen annehmen, ohne von ihm zu fordern, sich zu ändern, um zu etwas Gemeinsamem zu kommen. Meinen Beitrag dazu leiste ich, indem ich Klänge und Haltungen verschiedener Religionen und Kulturen zusammenbringe, die ich eine Klang-Koexistenz Gestalt annehmen lasse.“

 

Christoph Schlüren,

aktualisiert im November 2023 von Dr. Susanna Schulz