Emphatische Koexistenz des Klangs

Konstantia Gourzi - Komponistin・Dirigentin

Ein biographisches Essay

„Musik soll den Menschen einen Reichtum von Gefühlen, Hoffnung, Erweiterung des Bewusstseins, Fantasie, Leben und Liebe vermitteln. Es ist mir wichtig, mit Tönen die uns innewohnenden positiven Kräfte dafür zu aktivieren. Diesen Prozess zu begleiten, ist für mich ein beglückendes Erlebnis.“

Die in Athen geborene und in Deutschland lebende Komponistin und Dirigentin Konstantia Gourzi verfolgt seit ihren Studienjahren einen künstlerischen Weg, der durch Offenheit für höchste Klangqualität – unabhängig von ihrer Herkunft –, innere Integrität und eine von Dogmen freie künstlerische Authentizität geprägt ist.

Die kulturgeschichtliche Vielfalt, die sich sowohl in der Musik als auch im Leben widerspiegelt, war für sie stets eine Quelle der Inspiration. Ihr künstlerisches Schaffen beginnt mit Respekt und Neugier für andere Musikkulturen. Für Konstantia Gourzi ist Musik eine universelle Sprache: Sie fragt nicht nach Herkunft, bewertet nicht – und besitzt die Kraft, Menschen miteinander zu verbinden. Ihre Werke schöpfen aus vielfältigen Quellen: traditionelle Instrumente und Stilrichtungen inspirieren sie ebenso wie die internationale Avantgarde, deren Entwicklungen im Bereich Klang, Geräusch und Struktur eine zentrale Rolle spielen.

Die für ihre vielfältigen Aktivitäten bekannte Komponistin empfängt ihre Schaffensimpulse zudem oft durch gesellschaftliche und spirituelle Themen, die griechische Mythologie und die Natur mit ihren Klängen und Vibrationen. Ihre Werke sind von einer dramaturgischen Struktur durchdrungen mit dem Wunsch, neue Räume und Energien durch Klänge erlebbar zu machen. Ihre Kompositionen sind wie „Erzählungen der aufrichtigen Kommunikationen“, wie sie selbst sagt, und somit ein Angebot an die Zuhörer wie die Gesellschaft, die eigene Wahrnehmung empathisch zu erweitern. Mit ihrer unverwechselbaren zeitgenössischen Stimme eröffnet Konstantia Gourzi dem Publikum Räume fürs Erspüren und zur Reflexion.

 

 

Erfahrungen auf ihrem Weg

Es war eine schicksalhafte Fügung, dass Konstantia Gourzi in Athen Kompositionsschülerin von Michael Travlos wurde – einem ehemaligen Studenten von Isang Yun, zu dem sie Jahre später eine enge künstlerische Verbindung aufbauen sollte. Yun bemühte sich zeitlebens, die uralten Traditionen seiner koreanischen Heimat mit zeitgenössischen musikalischen Impulsen zu verbinden. Der Dialog zwischen traditionellen Wurzeln und der Suche nach neuen Ausdrucksformen wurde auch für Konstantia Gourzi zu einem zentralen Leitmotiv – und prägt ihre künstlerische Identität bis heute.

1987 kam sie zum Kompositionsstudium nach Berlin – und erkannte bald, wie wichtig es war, sich künstlerisch selbst zu definieren und einen eigenen kompositorischen Weg zu finden. Im Studienbetrieb fehlte ihr zunächst die künstlerische Freiheit; sie fühlte sich durch traditionelle Muster eingeengt. Doch das Musikleben in Deutschland eröffnete ihr neue Horizonte: Ein Kurs bei Diether de la Motte in Darmstadt gab ihr Freiraum und neue Hoffnung. Das Eintauchen in György Kurtágs lebensprühenden Miniaturkosmos erschloss ihr ungeahnte Perspektiven.

Parallel dazu studierte sie in Berlin Dirigieren – doch auch hier fehlte ihr die erhoffte Offenheit und Inspiration. Sie nutze die Chancen, die Berlin ihr darüber hinaus bot, auf ihre Weise: sie besuchte mit großer Neugier und Begeisterung über vier Jahre hinweg nahezu jede Probe der Berliner Philharmoniker. So sammelte sie ihre prägendsten Erfahrungen im lebendigen Moment der musikalischen Entstehung – auf höchstem Niveau. Besonders Claudio Abbado, bei dem sie assistierte, zeigte ihr, „wie Musik atmen kann“. Entscheidende musikalische Impulse erhielt sie auch von großen Dirigentenpersönlichkeiten wie Carlos Kleiber, Günter Wand, Giuseppe Sinopoli, Sylvia Caduff, Carlo Maria Giulini, Michael Gielen, Bernard Haitink und Nikolaus Harnoncourt.

 

Ensemblegründerin und Professorin

Konstantia Gourzi verkörpert die seltene, doch ungemein fruchtbare Vereinigung von Komponistin, Dirigentin und Professorin. Sie verleiht ihren Ensembles eine klare künstlerische Identität.  Als erste Frau, die in den 1990er-Jahren an der Staatsoper Athen Verdis La Traviata dirigierte, wurde sie zugleich zu einer wichtigen Wegbereiterin und Vorbild für eine neue Generation von Musikerinnen.

Der Wunsch, gemeinsam mit Gleichgesinnten neue Klangerfahrungen zu sammeln und musikalisch zu experimentieren, führte früh zu dem Impuls, eigene Ensembles zu gründen und selbst zu leiten. 1991 gründete sie das Ensemble attacca berlin sowie die internationale Konzertreihe Zeitzonen. Von 1999 bis 2007 leitete sie das von ihr aufgebaute Echo Ensemble der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. 2002 wurde sie als Professorin für Ensembleleitung Neue Musik an die Hochschule für Musik und Theater München berufen. Mit ihrer beeindruckenden Vielseitigkeit und künstlerischen Energie wurde sie schnell zu einer zentralen Gestalt der Neuen Musik in München – und darüber hinaus. Eine ihrer ersten prägenden Entscheidungen in München war die Gründung des ensemble oktopus, das aus Studentinnen und Studenten besteht und seitdem unter ihrer Leitung steht. Heute ist das ensemble oktopus mit seiner stilistischen Vielseitigkeit und dem hohen interpretatorischen Anspruch ein fester Bestandteil des Münchner Kulturlebens.

Ihren Studentinnen und Studenten vermittelt sie ein feines Gespür für die zeitgenössische Musik in all ihren Facetten. Sie ermutigt junge Musikerinnen und Musiker, eine persönliche Beziehung zum Neuen und Unvorhersehbaren zu entwickeln, zeitgenössische Spieltechniken zu erkunden und neue Ensembleformen zu erproben – stets begleitet von ihr als verlässliche und inspirierende Mentorin. 2007 gründete sie das Netzwerk und Ensemble opus21musikplus, in dem zeitgenössische Musik mit anderen Kunstformen und Stilrichtungen in einen lebendigen Austausch tritt. Als Dirigentin, die Herausforderungen nicht scheut und mit langjähriger Erfahrung präzise und eindrucksvolle Aufführungen realisiert, wird Konstantia Gourzi ebenso gefeiert wie als Komponistin. Ihr künstlerischer Weg ist durch zahlreiche Radioaufnahmen, Fernsehsendungen und Live-Streams dokumentiert – ebenso wie durch Kooperationen mit renommierten Labels wie ECM, GENUIN, NEOS und Sony Classical.

 

Komponistin

In ihren Kompositionen erkundet Konstantia Gourzi die intuitiven Bereiche des menschlichen Geistes – durch musikalische wie psychologische Phänomene in ihrer ganzen Vielfalt. Ihr geht es dabei ebenso um eine klare inhaltliche Aussage wie um ein tief empfundenes musikalisches Erlebnis. Neben einer präzisen durchdachten Dramaturgie spielen Intuition, Gespür und emotionale Tiefe stets eine zentrale Rolle im kreativen Prozess. Ihre Musik zielt darauf ab, die Grenzen des Rationalen und Definierbaren zu überschreiten – und Aktualität mit Zeitlosigkeit zu einer untrennbaren Einheit zu verschmelzen.

Zu ihren Auftraggebern zählen renommierte Institutionen wie die BBC, die Bayerische Staatsoper, die Staatsoper Berlin, die Biennale Venedig, das Athens State Orchestra, das Lucerne Festival, das Grafenegg Festival, das Tonkünstler-Orchester, die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern sowie der Bachchor Salzburg, die Camerata Salzburg, das Winnipeg Symphony Orchestra und das DSO Berlin. Ihre Werke entstehen für international gefeierte Solistinnen und Solisten wie Anastasia Kobekina, Nils Mönkemeyer, François Leleux, Dorothee Oberlinger, Julian Prégardien, Mikael Rudolfsson, Elisabeth Plank, Danae und Kiveli Dörken, Cathy Krier und William Youn. Ebenso schreibt sie für eine Vielzahl renommierter Kammerensembles, darunter das Minguet Quartett, das Signum Quartett, das Auner Quartett, Cuarteto Quiroga, die Munich Opera Horns, OPERcussion, das Feininger Trio und das Meitar Ensemble.

Über 30 Tonträger dokumentieren ihr kompositorisches Schaffen, veröffentlicht unter anderem bei ECM, Sony Classical, GENUIN und NEOS. Mehrere ihrer Alben wurden für die International Classical Music Awards sowie den Preis der deutschen Schallplattenkritik nominiert. 2023 wurde Konstantia Gourzi mit dem Opus Klassik als „Komponistin des Jahres“ ausgezeichnet. Ihr Album Whispers erreichte bereits über 50 Millionen Hörer in den sozialen Medien – Tendenz steigend.

In den letzten Jahren widmet sie sich verstärkt der Entwicklung neuer Programmkonzepte – sowohl als Komponistin als auch als Dirigentin. So war sie unter anderem „Composer in Residence“ beim Grafenegg Festival 2020 (Österreich), dem Molyvos International Music Festival 2021 (Griechenland), dem Kreisau Festival 2022 (Polen) sowie 2023 als „Composer and Conductor in Residence“ bei den Duisburger Philharmonikern für das Eigenzeit Festival, verbunden mit einem transkulturellen „Call for Compositions“. Auch in ihrer Zusammenarbeit mit dem Bachchor Salzburg und bei Konzerten im Rahmen der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern 2024 entfaltet Konstantia Gourzi immer wieder traumhafte Klangwelten – wie magische Rituale aus einer anderen Dimension. Diese andere Welt durchzieht unsere bekannte Wirklichkeit wie eine unsichtbare Strömung – sie lässt uns die Realität in einem neuen Licht erscheinen und hilft dabei, uns auf subtile Weise aus gewohnten Wahrnehmungsmustern zu lösen.

Ihre Motivation als Komponistin schöpft Konstantia Gourzi, wie sie selbst sagt, „aus einer Kraft, die stärker ist als mein Bewusstsein – und mich immer wieder drängt, Welten zu vereinen und musikalisch zum Ausdruck zu bringen. Es fühlt sich an wie ein Geheimnis, wie etwas Verborgenes, das ausgesprochen werden will. Das zwingt mich zugleich, eine Verbindungslinie zwischen Gestern und Heute zu suchen. Unsere Wurzeln, auch unsere musikalischen, sind Teil unseres Ichs. Und indem wir uns des Eigenen bewusst werden, können wir das Andere und den Anderen annehmen – ohne zu fordern, dass er sich verändert. Meinen Beitrag dazu leiste ich, indem ich Klänge und Haltungen verschiedener Religionen und Kulturen zusammenführe und ihnen in einer klanglichen Koexistenz Gestalt verleihe.“

Christoph Schlüren,

aktualisiert im September 2025 von Dr. Susanna Schulz