Philemon und Baucis

Im Rahmen ihrer Reihe Klassik im Dialog ergänzt Konstantia Gourzi Haydns fragmentarisch erhaltene Oper mit eigenen Kompositionen. Der Uraufführung an der Staatsoper Berlin folgten weitere ortsspezifische Aufführungen, realisiert als „mobile Oper“.

Das Projekt

In der Reihe Klassik im Dialog beschäftigt sich Konstantia Gourzi mit der direkten Verbindung ihrer Kompositionen mit Werken der klassischen Musikliteratur. Durch die enge Verflechtung von alter und neuer Musik ergeben sich zeitgemäße Perspektiven für die Zuhörer. Auf diese Weise werden Musiktraditionen ins Heute transportiert und ein neues Ganzes erschaffen. Den Anfang der Reihe machten Philemon und Baucis sowie Gedichte für Prometheus.

Das Dirigieren von Joseph Haydns Symphonie Nr. 43 Es-Dur bildet für Konstantia Gourzi den Ausgangspunkt der Beschäftigung mit seinen unbekannten und fragmentarisch überlieferten Werken. Fasziniert von Philemon und Baucis, einem Werk, das in der griechischen Mythologie und ihrer Götterwelt verwurzelt ist, beschließt sie, diese eigentlich für Marionetten geschriebene Oper in unsere Gegenwart zu holen: der Götterrat erscheint wie ein Politikertreffen, während das alte Paar Philemon und Baucis ein intensives Beispiel von Glaube und Liebe verkörpert.

Die Musik zum Götterrat beispielsweise ist bis auf die Ouvertüre verschollen. Die Neukomposition folgt dem erhaltenen Libretto. Jeder der Götter hat eine eigene „Szene“, in der er sich zu Wort meldet. So erhält jeder Gott eine charakteristische Instrumentation und Melodie, unterbrochen durch die Dialoge zwischen diesen „Szenen“.

Die originale Haydn-Partitur ist für zwei Oboen, zwei Hörner, Pauken und Streicher komponiert. Konstantia Gourzi entscheidet sich dafür, die erhaltene Musik in der Originalinstrumentierung zu belassen. Die neue Musik komponiert sie allerdings für zusätzliche Instrumente, die ihr „notwendig“ erscheinen: Flöte, Saxophon, Trompete, Posaune, Schlagzeug, Cymbal bzw. Hackbrett, Harfe und Klavier. Das Klavier ist dabei weder Cembalo-Ersatz noch begleitendes Akkord-Instrument für die Rezitative, sondern überraschendes Element mit Improvisations-Charakter, um die spannungsvolle Freiheit der Musik zum Ausdruck zu bringen.

Philemon und Baucis ist damit keine historisierende Komposition. Sie will das Alte durch die spezifische Mischung unterschiedlichster moderner Elemente neu erfahrbar machen. Oper als musikalischer Text und als Schauspiel, in dem Sängerschauspieler auf der Bühne stehen, nicht als „perfekte Stimmen“, sondern als Träger sprachlicher Klarheit verbunden mit körperlicher Präsenz und Emotionen.

Die Aufführungen im Magazin der Staatsoper Berlin, im Eisenbahn-Museum in Budapest oder in der Augustinuskirche in Schwäbisch Gmünd waren nicht nur Möglichkeiten, außergewöhnliche Räume mit Klängen „auszuleuchten“ und Orte mit Musik zu erfüllen, an denen man es nicht unbedingt erwartet. Sie waren auch Anlass für eine Bearbeitung für kleine Besetzung, die die Intimität der Handlung des zweiten Teils unterstützt.

Der Raum wird als tragendes Element in die Gesamtkonzeption integriert, er wird klanglich betrachtet und aus ihm geschöpft. So wird Philemon und Baucis als eine „mobile Oper“ realisiert, als ein langfristiges Experiment, um die Wirkung der Musik unter derart besonderen Umständen zu erkunden.

Auftragskomposition für die Staatsoper Berlin, für Kammerorchester und Sänger-Schauspieler.


Aufführungen

Uraufführung: 26. April 2003, Magazin-Gebäude (heute Boulez-Saal) der Staatsoper Unter den Linden, Berlin
Weitere Aufführungen: 27., 29., 30. April 2003 und 2. und 3. Mai 2003
Orchester: Ensemble echo, Regie: Immo Karaman, Bühnenbild: Alexander Polzin, Dramaturgie: Ralf Waldschmidt, Solisten der Staatsoper, freischaffende Darsteller, Studenten der Hochschule Hanns Eisler Berlin, Dirigentin: Konstantia Gourzi

21./22. März 2009, Eisenbahn-Museum, Budapest, im Rahmen des Budapester Frühlingsfestivals
Orchester: Dohnányi Orchester Budafok, Regie: Balász Kovalik, Dirigentin: Konstantia Gourzi

22. Juli 2010, Augustinus-Kirche, Schwäbisch Gmünd, im Rahmen des Festival für Europäische Kirchenmusik
Orchester: Ensemble opus21musikplus, Regie: Nilufar Münzing, Bühnenbild: Alexander Polzin, Dirigentin: Konstantia Gourzi


Pressestimmen

„Kongenial die musikalische Lösung des Partitur- und Texttorsos. Konstantia Gourzi kopierte oder ‚ergänzte‘ das Fehlende nicht ‚bloß‘. Mit der Neukomposition erreichte sie gültig ein ‚elliptisches‘ Ergebnis mit zwei Brennpunkten, nicht nur ‚untermalend‘, sondern in der Linearität gesungener Soli aussagestark. Dass das moderne Instrumentarium, Ergänzung des Haydenschen durch Flöte, Saxophon, Trompete, Posaune, Schlagzeug, Hackbrett, Harfe und Klavier, mehr als nur kommentierte, war das Bestechende der neu gefügten, aber differenzierten Einheit. Charakteristisch die Rollenbesetzung: ausgezeichnete, klangvolle als klangsinnige Vokalsoli, schauspielerische Kompetenz, beide im Chor vereinigt, die alle einzeln gewürdigt gehörten! Dazu ein prächtiges ensemble opus21musikplus, den Haydn nicht im Sound historisierter Information, sondern im heutigen Kontext gewachsenen Hörens musizierend. Die Komponistin dirigierte engagiert, gab genügend Freiraum in der Begleitung eigenständig interpretierender Sänger. Und das Ganze gelang dermaßen lebendig, jung und frisch, dass man nur begeistert sein konnte!“ Rems Zeitung, 25. Juli 2010

„(…) Komponistin, die es genial geschafft hat, das Alte mit neuer Musik erlebbar zu machen. Sie lässt ihrem Publikum die Freiheit, neue Musik nicht zu mögen, aber sie fordert von ihm, sich Neugier und Phantasie zu stellen. Das fiel nicht schwer, denn geradezu mühelos trug sie mit kompositorischem Gespür für Stimmungen und Intensität die Besucher durch die musikalischen Zeiten. (…) Gourzi hat mit dem Wechsel von Sprache und Gesang, mit einer erweiterten Instrumentierung von Hackbrett, Cymbal, Saxophon oder Posaune die Lücken nicht einfach geschlossen, sondern geschickt übergeblendet. Opulente Chorsequenzen, zauberhafte Duette, röhrendes Blech, eindringliche Melodiebögen und dann wieder spannungsgeladene Stille durchziehen das Werk. (…) Was blieb von Philemon und Baucis, von Alt und Jung? Wachgerüttelte Neugier. Begeisterter Applaus und Bravo-Rufe. Dank für ein neues Hörerlebnis. Und doch der Haydn’sche Nachklang im Ohr.“ Gmünder Tagespost, 23. Juli 2010


Links

zur Werkseite von op. 18 Philemon und Baucis